Mittwoch, 18. März 2009

Fräulein Pol Pots Flucht vor der Vergangenheit

Der Vater ein Massenmörder wie Hitler und Stalin, sein Kind eine scheue Schönheit: Pol Pots Tochter studiert heute unter einem Decknamen in Phnom Penh. Von den Killing Fields der Roten Khmer, von den Verbrechen ihres Vaters will sie nichts wissen - sie genießt lieber die Party-Szene.

Phnom Penh - Pol Pot, der Kambodschas Kultur mit Stumpf und Stiel ausrotten wollte, hat sie ausgerechnet nach einer berühmten kambodschanischen Prinzessin benannt: Sitha. Der Vater, der den Tod von fast zwei Millionen seiner Landsleute kühl als "notwendiges Opfer" für "die kommunistische Sache" betrachtete, hat sie häufig zärtlich gestreichelt. Der Vater, der durch den Aufstand der eigenen Leute und mysteriöse Krankheiten geschwächt war, hat an ihre Zukunft gedacht. Wenige Monate vor seinem Tod holte er seinen Sekretär in sein Dschungelquartier von Anlong Veng und nahm ihm das Versprechen ab, sich um seine Frau und das Kind zu kümmern.


Pol Pots Tochter Sitha und ihre Mutter (Aufnahme von 1998): Liebenswertes Mädchen

Was Pol Pot dem Vertrauten als Gegenleistung bot, blieb ungeklärt. Den Zugriff auf angeblich aufgehäufte Goldbarren, den geheimnisvollen Schatz der Khmer Rouge? Ein für andere Politiker brisantes Vermächtnis? Unbestritten ist nur: "Bruder Nr. 1" diktierte seinem Sekretär Tep Khunnal bis zuletzt seine Memoiren.

"Unsere Revolution war richtig"

Pol Pot, neben Hitler und Stalin der schlimmste Massenmörder des vergangenen Jahrhunderts, ist am 15. April 1998 gestorben und bald darauf eingeäschert worden. Seine Genossen verhöhnten den Mann, den sie ein Leben lang gefürchtet hatten, indem sie seinen Lehnstuhl und alte Reifen ins Feuer warfen und ihm nachriefen, nun sei er weniger wert "als Kuhscheiße". Sekretär Tep Khunnal aber hielt Wort. Er brachte Sitha, damals 12, und Pol Pots Frau Meas, damals 36, in ein geheimes Versteck auf die andere Seite der Grenze, nach Thailand. Er heiratete die Witwe und zog das Mädchen wie sein eigenes Kind auf.

Und dann handelte Tep Khunnal mit Premier Hun Sen, dem früheren Roten Khmer, der das Land an der Seite der Vietnamesen befreit hatte, einen erstaunlichen Deal aus: Er durfte sich mit seiner neuen Familie in Kambodscha niederlassen und in dem abgelegenen Distrikt Malai für die Regierungspartei als Gouverneur kandidieren. Seit vielen Jahren nun schon lenkt der Pol-Pot-Sekretär im äußersten Westen des Landes die politischen Geschicke. Er hat - von welchem Geld auch immer - eine Reis-Fabrik aufgebaut und gilt seinen 40.000 Untertanen als fähiger Verwalter: Malai, anders als die meisten Regierungen des Landes, frei von Bars und Bordellen, ist mit seinen strengen Sitten und seinem genossenschaftlichen Zusammenhalt eine Art kambodschanisches Amish-Land.

Besuch empfängt der Distriktvorsteher höchst selten. Als er im November den SPIEGEL in seinem ordentlich aufgeräumten, penibel gesäuberten Büro begrüßt, äußert er sich erstmals zum anstehenden Völkerrechtstribunal gegen die Ex-ZK-Mitglieder der Roten Khmer, darunter den "Bruder Nummer zwei" Nuon Chea, und gegen "Duch", den Chef-Folterer. Tep Khunnal, 56, sagt, er könne das Gerichtsverfahren nicht verstehen. "Unsere Revolution war richtig." Es seien "bedauerliche Dinge vorgekommen", aber das seien doch eher Randerscheinungen gewesen.

Er wollte nur eines sein: der perfekte Sekretär

"Pol Pot war ein Idealist. Er war ein Führer. Und mit den meisten seiner Entscheidungen lag er richtig." Tep Khunnal würde selbstverständlich vor dem Tribunal aussagen, sollte man ihn vorladen. Das sei aber nicht geschehen. Er behauptet aber, über Mordbefehle der Khmer-Rouge-Spitze nichts zu wissen - erstaunlich, da er Mitglied der KP-Planungskommission war. Er will auch keine versteckten Gelder der Roten Khmer erhalten haben, und das von Pol Pot diktierte Vermächtnis, in zwei Dutzend Notizbüchern festgehalten, sei verbrannt. Keine geheimen Informationen, irgendwo in einem Safe gelagert, mit denen er Premier Hun Sen erpressen könnte? Herr Tep schüttelt sich empört. "Ein Gerücht, das ich auch gehört habe - es entbehrt jeder Grundlage."

Tep Khunnal, in Frankreich studiert, von der Revolution begeistert und lange als Uno-Vizebotschafter seines Landes in New York tätig, wollte immer nur eines sein: der perfekte Sekretär. Und wie ist er als Erzieher? Was hat Tep Khunnal, der mit Meas noch ein eigenes Kind bekommen hat, seiner Stieftochter Sitha über Pol Pot erzählt? "Die Wahrheit", sagt er. "Dass er sich bis zuletzt um sie gesorgt hat, ein fürsorglicher Mensch, jedenfalls ihr gegenüber. Dass sie nicht alles glauben soll, was ihr andere möglicherweise über ihn erzählen."

Was Sitha wann vom Genozid der Roten Khmer am eigenen Volk erfahren hat - und über den Hauptverantwortlichen, ihren Vater - ist unklar. In ihrem Gymnasium in der Provinzstadt Sisophon wird Gegenwartsgeschichte nicht gelehrt, die Khmer-Rouge-Zeit bleibt, wie fast überall in Kambodscha, ausgeklammert.

Die schöne Tochter des Kommunistenführers studiert jetzt Betriebswirtschaft

Zwei Journalisten von der "Cambodia Daily" erzählt die damals Achtzehnjährige im Jahr 2004 beim bisher einzigen Interview ihres Lebens, sie bete viel für Pol Pot und bringe in der Pagode den buddhistischen Mönchen regelmäßig Opfer. "Ich würde ihn gern in einem nächsten Leben treffen und dann mehr Zeit mit ihm verbringen", sagt Sitha, höflich, wie alle ihre Mitschülerinnen in "bourgeoise" Schuluniform mit langem, Rock und frisch gestärkter weißer Bluse gekleidet.

Der Stiefvater will, dass sie Englisch lernt und auch über moderne Wirtschaft Bescheid weiß - er meldet sie trotz ihrer durchschnittlichen Zeugnisse an einer Universität in Phnom Penh an. Wo, will er nicht sagen, "die Kleine" solle ihre Ruhe haben. Nur so viel: Sie studiere nicht unter ihrem Namen. Schon 2006 hat die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit", ausgestattet mit besonders guten Kambodscha-Kontakten, gemeldet, es könne sich um die Pannisastra University of Cambodia halten.

Fräulein Pol Pot alias Sitha alias Sar Patchata alias ihres jetzigen Decknamens hat sich tatsächlich an der PUC eingeschrieben, an Phnom Penhs Eliteuniversität und politischer Kaderschmiede, gefördert von der amerikanischen Regierung. Sie studiert Englisch und Betriebswirtschaft - eine erstaunliche Kombination, bedenkt man, dass es unter den Roten Khmer einem Todesurteil gleichkam, eine Fremdsprache zu beherrschen; zieht man in Betracht, dass ihr Vater alle Banken und Wirtschaftsinstitute schloss, das Geld ganz abgeschafft hatte.

Sie will nichts wissen von den "angeblichen Verbrechen"

Am Anfang ihrer Phnom-Penh-Zeit ist sie nach Aussagen ihres damaligen Freundes ein "besonders liebenswertes" Mädchen gewesen, "die bei weitem hübscheste unter den vier Mädchen aus Malai, mit denen sie zusammenwohnte". Der junge Mann will mit ihr sein Leben teilen. Er berichtet ihr auch von den zahlreichen Familienmitgliedern, die er durch Pol Pots Schreckensherrschaft verloren hat. Als sie ihm erzählt, sie sei die Tochter des Khmer-Rouge-Führers, schweigt er zunächst, sagt dann aber, er glaube nicht an die "Vererbbarkeit von Genen und solchen Schwachsinn", er liebe sie. Er will ihr aber neben seinen Lieblingsplätzen am Flussufer auch die Gedenkstätten an die Horrorzeit zeigen, das Foltergefängnis Tuol Sleng, die Killing Fields, draußen vor der Stadt. Ohne mich, sagt Fräulein Pol Pot. Sie will nichts wissen von den "angeblichen Verbrechen ihres Vaters" und diesem "unsinnigen Tribunal gegen seine Kollegen".

Die beiden leben sich auseinander. Sitha, die einst so Schüchterne, habe sich einen neuen Freundeskreis angelacht, erzählt der junge Mann, "die Reichen und die Mächtigen". Er sieht sie im Sportwagen eines stadtbekannten Playboys, dann in Begleitung eines Jungpolitikers, der sie in die teuren Restaurants führt, dann bei der Einweihung eines High-Society-Discoclubs. Sie wolle in Ruhe gelassen werden, sagt sie bei einem Fest auf eine Anfrage des SPIEGEL nach einem Interview. Fräulein Pol Pot, 22, trägt ein schulterfreies Glitzerkleid, das kurz geschnittene Haar ist leicht aufgehellt. Sie ist eine Schönheit.

Wollte sie wirklich etwas über ihren Vater erfahren, könnte sie die Geschichte über seinen besten Freund in den Archiven des Khmer-Rouge-Dokumentationszentrums nachlesen. Siet Chhe hieß der, hat den "Bruder Nummer eins" im Dschungel während seiner Malaria-Erkrankung auf dem Rücken getragen, ihn gesund gepflegt und ihm auch sonst immer loyal gedient, zuletzt als Regionalsekretär Ost. Wie so viele Kader fiel er aus unerklärlichen Gründen in Ungnade, wurde ins Gefängnis Tuol Sleng eingeliefert und gefoltert. Verzweifelt schrieb er an Pol Pot. "Bitte rette deinen jüngeren Bruder! Ich werde der Partei gegenüber immer loyal sein." Pol Pot würdigte ihn keiner Antwort - und machte so dem Lagerchef klar, dass er keinerlei Rücksichten nehmen musste. Folterknecht Duch ließ Siet Chhe immer schlimmer foltern, aber er wollte ihn darüber hinaus auch noch demütigen. Der Delinquent sollte zugeben, seine eigene Tochter sexuell missbraucht zu haben.

Alle gestanden alles in Tuol Sleng, die folgenden Zeilen sind das einzige Dokument des Widerstehens. "Verehrte Organisation", schrieb Pol Pots bester Freund. "Dies ist der Report über meine Tochter. Ich gestehe, ich habe sie besonders ins Herz geschlossen. Ich habe sie in den Arm genommen, mit der Liebe und Fürsorglichkeit eines Vaters. Die Anschuldigungen, ich hätte mich an ihr vergriffen, sind lächerlich. Ich wünsche ihr, dass sie einen aufrechten und anständigen Revolutionär trifft, mit dem sie ein politisch und moralisch sauberes Leben führen kann."

Duch und Pol Pots andere Schergen quälten den Mann noch fünf Monate. Ein Inzest-Geständnis konnten sie ihm nicht abzwingen. Dann brachten sie Siet Chhe auf die Killing Fields, töteten ihn mit einem Schlag gegen den Nacken und stießen ihn in die Grube.

Jagdhund schnüffelt in Kambodscha nach Tiger-Häufchen

Die Nase führt zum Ziel. Das hoffen zumindest Tierschützer in einem kambodschanischen Naturreservat. Um die letzten verbleibenden Tiger in dem Nationalpark aufzuspüren, haben sie einen Jagdhund eingesetzt. Der in Russland ausgebildete Deutsch-Drahthaar namens Maggie soll nach Tiger-Ausscheidungen schnüffeln. Die Tierschützer wissen nicht genau, wie viele der Raubkatzen noch im Dschungel von Kambodscha leben. Vor 200 Jahren streiften angeblich bis zu 500.000 von ihnen durch die Steppen und Wälder Asiens. Mittlerweile sollen noch rund 5.000 Tiger auf dem Kontinent zu Hause sein.